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14.10.2015
Kategorie: Info
Von: Frauke Gehrau

Ich pfeif auf Schiris!

Ob Phillip Morris gegen Australien im Ringen um das Markenzeichen auf Zigarettenpackungen oder Vattenfall gegen Deutschland im Kampf um den Atomausstieg. Es sind immer Schiedsrichter im Spiel.


Foto: Sebastian Bozada / Naturfreundejugend Deutschlands

 

 

Ob Phillip Morris gegen Australien im Ringen um das Markenzeichen auf Zigarettenpackungen oder Vattenfall gegen Deutschland im Kampf um den Atomausstieg. Es sind immer Schiedsrichter im Spiel. Und die kann spätestens seit der Diskussion um TTIP und CETA keiner mehr leiden. Warum? Sie entscheiden, ob ein Staat einem ausländischen Unternehmen Entschädigung zahlen muss, weil er z.B. ein Gesetz erlassen hat, das deren Profit schmälert.

 

 

"Deutschland hat seit 1959 mehr als 130 bilaterale Investitionsförderungs- und -schutzverträge abgeschlossen" steht auf der Internetseite des Bundeswirtschaftsministeriums, also Abkommen mit je einem anderen Staat, in denen es genau um diese Schiedsverfahren (ISDS) geht. Die späte Kritik daran zeigt, dass westliche Staaten und ihre Unternehmen am Anfang von der Idee profitierten.

Die Abkommen sollten Investoren aus Industrienationen in Entwicklungsländer locken. Da dort oftmals kein Rechtssystem westlichen Standards herrschte, wurden die Schiedsgerichte geboren. Sie sollten den Investoren rechtlichen Schutz gegen staatliche Willkür bieten. Daher werden auch heutzutage diese Schiedsgerichte vor allem bei der Weltbank abgehalten.

 

Fühlt ein ausländisches Unternehmen sich von staatlicher Willkür betroffen, kann es Klage vor einem internationalen Schiedsgericht einreichen. Diese landen meist vor dem ICSID bei der Weltbank in Washington DC.Drei Anwälte - je einer für den Kläger (das Unternehmen), den Beklagten (den Staat) und ein unabhängiger bilden das Gericht, das für jeden Fall neu zusammengesetzt wird. Die Unterlagen bleiben dabei geheim, es sei denn beide Seiten stimmen einer Veröffentlichung zu. Dabei müssen sich die Anwälte nicht an nationale Gesetze halten. Die Investitionsschutzabkommen sind wenig ausführlich formuliert und bieten viel Spielraum zur Auslegung, für mögliche Entschädigungen.

 

Nun, da auch zunehmend Industrieländer verklagt werden, ist das Geschrei natürlich groß und die vielen Schwachstellen des Schiedsgerichtsverfahrens kommen ans Licht.

Größtes Manko der Schiedsverfahren ist, dass nur Unternehmen die Staaten verklagen können, aber nicht umgekehrt. Außerdem gibt es keinerlei Berufungsinstanz, so wie das normalerweise der Fall wäre. Es ist möglich, dass wichtige gesellschaftliche Fragen vor Schiedsgerichten statt nationalen Gerichten landen, falls ein ausländischer Investor betroffen ist. Die Intransparenz der Verfahren ist ihrem Ruf wenig förderlich.

 

Es ist zu befürchten, dass die Politik aus Angst vor drohende Entschädigung z.B. neue Umweltstandards für Kraftwerke nicht mehr durchsetzt, wie beim Kohlekraftwerk in Hamburg-Moorburg. Wer zahlt schon gern Millionensummen an Entschädigungen?

So setzen sich Unternehmen auch über Begehren der Bevölkerung hin. Die Bürgerbewegung "Albernus Maior" kämpft in Rumänien seit Jahren erfolgreich gegen einen Gold- und Silbertagebau, der beim angewendeten Verfahren einen riesiger hochgiftiger Zyanidsee zurückließe. Vor nationalen Gerichten hat sich die Bewegung bereits erfolgreich durchgesetzt, vor einem Schiedsgericht würde sie aber nicht angehört. Das kanadische Bergbauunternehmen hat dort nun Klage eingereicht.

 

Ein anderer Fall aus Österreich zeigt, dass bei der heutigen Globalisierung theoretisch jedes Unternehmen fast jeden Staat verklagen kann. Weil wegen Untreue und Betrug gegen die Meinl Bank seit acht Jahren ermittelt wird, hat der niederländische Investor mit Sitz in Malta Ende Juli Klage beim ICSID eingereicht und bezieht sich dabei auf ein Investitionsschutzabkommen zwischen Österreich und Malta. Anklage: der Rufmord käme einer "Enteignung" gleich. Dieser Investor gehört aber offenbar über dubiose Wege den österreichischen Eigentümern, der Familie Meinl selbst. Für eine Klage reicht also eine ausländische Tochterfirma. Laut Anwalt der Meinl Bank sei der Staat bzw. die Regierung Österreichs für das Verfahren gegen seinen Mandanten verantwortlich. Interessante Behauptung, wo doch dank Gewaltenteilung Regierung und Gerichte unabhängig sind.

 

Dann ist da noch der Interessenskonflikt der beteiligten Anwaltskanzleien. Sie wollen Geld verdienen, müssen dafür aber die Nachfrage nach Schiedsgerichten hoch halten, sprich erfolgreich klagen. Wie aber passen unabhängige Schiedsrichter und Gewinnorientierung der Kanzleien zusammen? Hohe Entschädigungssummen sind wo wenig verwunderlich. Die höchste Entschädigung der Geschichte musste Ecuador an einen Ölkonzern zahlen: 2,3 Mrd. US-Dollar (Quelle: Wikipedia). Wenn der Staat die Entschädigung nicht zahlt, könnte die Weltbank theoretisch alle Geldzahlungen einstellen. Passiert ist das bisher noch nie.

 

Die EU möchte nun einen internationalen Schiedsgerichtshof mit Richtern auf Lebenszeit einrichten. Die Regelungen für Schiedsgerichtsverfahren sollen in TTIP genauer formuliert werden. Dadurch werden sich aber die ungerechten Grundzüge des Schiedsgerichtsverfahrens nicht grundlegend ändern. Es hilft nur eins: Schiedsgerichtsverfahren müssen generell abgeschafft werden.

 

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Dieser Artikel erschien zuerst im Naturfreundejugend-Magazin [ke:onda]